NITROFILM - WAS TUN WENN SICH DIE "BOMBE" IM FILMARCHIV FINDET?

Immer wieder finden sich in Film- und Medienarchiven Nitrofilme (Nitratfilm) - oder "vermeintliche Nitrofilme". Und immer wieder stellen wir fest, das das Wissen um Nitrofilm sehr mäßig ist und vor allem auch viel Panik im Spiel ist. Fakt ist natürlich, das es sich bei Nitrofilmen um Filmmaterial handelt, dessen Trägerschicht aus Nitrozellulose besteht - den Chemikern auch bekannt als "Schießbaumwolle" - einem Sprengstoff, der durchaus gefährlich werden kann. Und wer erinnert sich nicht an alte Zeitungsberichte von brennenden Kinos oder an die Szenen aus "Inglorious Bastards" oder "Cinema Paradiso" in denen ganze Kinos abfackeln, weil Nitrofilm in Brand geraten ist. Tatsächlich ist das früher auch häufig passiert vor allem, weil in den Vorführräumen nicht selten mehrere Spielfilme lagerten, jeder 35mm Spielfilm hat ca. 20 Kilo Gewicht, und so kam doch eine erhebliche Brandlast zustande. Daher sieht man in alten Kinos auch noch oft kleine Metallschieber vor den Lichtöffnungen zwischen Publikumsraum und Projektionsraum. Im Falle eines Falles sollte das Übergreifen der Flammen auf den mit Kinobesuchern gefüllten Saal verhindert werden. Aber: Nitratfilm oder Nitrofilm hat nichts mit Nitroglycerin zu tun, das beim Schütteln sofort explodiert! Und wenn man ein paar Dinge über den Umgang mit Nitrofilm weiß, können Gefahren und Risiken gewaltig reduziert werden. 

Nitrofilm (Nitratfilm) ist Sprennstoff!

Ganz klar ist, Nitrofilm ist per Definition und per Gesetzt Sprengstoff. Fällt also unter das Sprengstoffgesetz, was bedeutet, das ganz bestimmte Lagerungsbedingungen und Sicherheitsmaßnahmen beim Umgang mit Nitrofilm gelten - und übrigens auch beim Transport. Nicht jeder Versender oder Spediteur kann oder darf Nitrofilme transportieren. Die Menge spielt da keine Rolle, auch wenn natürlich ein kleines Röllchen mit 100 Gramm Gewicht nicht gleich eine tödliche Gefahr darstellt.

Aber es gilt in jedem Falle folgendes zu beachten: Je nach Alterungszustand kann sich Nitrofilm rein theoretisch bereits bei 37 Grad selbst entzünden. Löschen kann man einen brennenden Nitrofilm nicht wirklich, da er bei der Verbrennung alles produziert, was er zum brennen braucht. Besonders gefährlich: Löscht man z.B. einen Nitrofilm mit einem Pulverlöscher, kann es sein, das das Feuer erst einmal aus geht, dann aber nach einigen Sekunden wieder voll loslegt. Dabei brennt Nitrofilm extrem heißt ab. Mehrere tausend Grad machen eine Annäherung während des Brandes sehr gefährlich! Sehen Sie hier brennenden Nitrofilm, es handelt sich um ca. 2 Kilo: Youtube-Löschversuch-Nitrofilm. Aber generell kann man sagen: Nitrofilm explodiert jetzt nicht einfach so wie eine alte Fliegerbombe, aber er brennt sehr schnell und sehr heiß ab. Unter ungünstigen Umständen ( siehe unten ) kann dieses Abbrennen so schnell passieren, das es explosionsartig wirkt, insbesondere dann, wenn der Nitrofilm zum Beispiel in einer Metalldose lagert, die "zugerostet" ist... so entsteht dann fast eine kleine "Tellermiene". Dazu kommt, das bei der Verbrennung Kohlenstoffmonoxyd entsteht ( das man nicht riechen kann )  und das ist sehr gefährlich, da dieses Gas den Sauerstofftransport im Blut verringert bzw. gänzlich unterbindet... und das kann tödlich enden.

Das heißt also, zusammengefasst: Nitrofilm wird erst dann gefährlich, wenn er brennt. Und das tut er sehr heiß und schnell. Es sollte also - für den Fall der Fälle - nichts anderes Brennbares in der Nähe sein und man sollte nicht versuchen, den Nitrofilmbrand selbst zu löschen und sich auf jeden Fall aus dem Gefahrenbereich der Gasentwicklung entfernen. Im Idealfall brennt eine Rolle Nitrofilm dann einfach ab, und entzündet nichts weiter und nach gutem Lüften ist der Schrecken vorbei - falls es je dazu kommen sollte.  Tatsächlich passiert es eher sehr selten, vor allem, wenn man weiß, womit man es zu tun hat und so entsprechende Sorgfalt walten lassen kann. Denn die große Gefahr liegt darin, das Nitrofilme irgendwo jahrzehntelang auf Dachböden vor sich hin zerfallen....

Wie kann man Nitrofilm bzw. Nitratfilm erkennen?

Bei der Erkennung von Nitrofilm gibt es auch viel Unsicherheit. Aber generell ist das relativ klar abzugrenzen. 35mm Nitrofilm, also z.B. Vorführkopien fürs Kino, gab es bis 1955. Danach wurde kein Nitrofilm mehr verwendet oder hergestellt. Bei 16mm Film und 8mm Film hat man bereits in den 1930er Jahren begonnen, sogenannten "Sicherheitsfilm" herzustellen, da diese Schmalfilme viel von Amateuren im Heimgebrauch verwendet wurden und die heißen Projektionslampen in den kleinen Heimprojektoren ein viel zu hohes Risiko gewesen wären. Wenn Sie in Ihrem Archiv also verdächtige Filme finden, können sie folgendes tun:

  • 1. Sehr vorichtig sein im Umgang mit den Filmen, auf die Umgebungstemperatur achten. Lag das Material z.B. auf einem Dachboden im Sommer - abkühlen lassen, am besten in den Kühlschrank. Niemals alleine mit dem Material hantieren, ggf. mit der Feuerwehr sprechen.
  • 2. Datum prüfen. Von wann ist der Film ? Wie realistisch ist es, das es Nitrofilm ist ?
  • 3. Aussehen und Geruch  prüfen. Hat er gelbe Ausblühungen, dann ist es sehr wahrscheinlich ein Nitrofilms und er befindet sich schon in einem kritischen Zustand. Dann nichts weiter unternehmen sondern fachmännischen Rat suchen. Ist der Film eine verklebte, fast pulverartige Masse... Finger weg. Das ist ein sehr kritisches Stadium. Ist das alles nicht der Fall, können Sie den Film ein wenig abwickeln. Am Rand des Filmes finden Sie ggf. die Aufschrift "Sicherheitsfilm" oder "Safetyfilm". Dann ist alles gut, kein Nitrofilm! Die Zersetzungsgase von Nitrofilm riechen stechend, chlorähnlich ( Stickstoffoxyd und Stickstoffdioxyd werden in Verbindung mit z.B.  Luftfeuchtigkeit zu Salpetersäure ) und sind übrigens sehr giftig! Also erstmal lieber nur zufächeln und keine tiefen Atemzüge nehmen. Riecht der Film nach Essig, ist es sehr wahrscheinlich ein Acetatfilm mit dem sogenannten "Vinegarsyndrom", also auch kein Nitrofilm. Aber die Gerüche sind nicht so leicht auseinander zu halten.
  • 4. Es gibt auch chemische Verfahren, mit denen man Nitrofilm nachweisen kann, diese sind aber hochgiftig.
  • 5. Ein kleines Stück anzünden und versuchen, auszublasen - davon würden wir aber dringend abraten! Außerdem kann es sein, das der Vorspannfilm aus einem anderen Material ist ( Blankfilm oder Schwarzfilm ) als der eigentliche Film mit den Bildern. Darauf auch achten, wenn Sie eine Beschriftung suchen.

Sollten Sie in irgendeiner Weise unsicher sein - kein Risiko eingehen, schon gar nicht bei größeren Filmmengen! Rat finden Sie ggf. auch beim Bundesfilmarchiv oder bei größeren Film- und Fotoarchiven wie z.B. Landesarchiven oder Universitätsarchiven. Wichtig ist vor allem auch die Klärung, wie wichtig der historische Inhalt des Materials ist.

WAS MACHT MAN MIT NITROFILM - VERNICHTEN? - ERSTE HILFE

Also vernichten sollte man Nitrofilm bitte nicht. Denn er birgt in den meisten Fällen historisch wichtige Filmdokumente, die für die Nachwelt bewahrt werden sollten. Außerdem sollte man die Vernichtung nie selbst in die Hand nehmen... Haben Sie Nitrofilm im Filmarchiv ist klar, das Sie in der Regeln nicht berechtigt sind, diesen nach seiner Entdeckung dort weiter liegen zu lassen. Als erste Maßnahme wäre zu sagen: Nitrofilme von brennbaren Umgebungen entfernen. In nicht brennbaren Behältern ohne fest verschlossene Deckel legen, Kühl lagern, z.B. im Kühlschrank bei aber permanenter Temperaturkontrolle. Keine großen Mengen Nitrofilme beisammen lassen, Vorsicht mit eingerosteten Filmdosen. Lassen sich die Deckel nicht locker öffnen, sammeln sich darin Gase und die Metalldose bietet dann alles, was eine ( kleine )  Bombe braucht!

Danach gilt, die Filme schnellstens zu digitalisieren, dann kann man über eine fachgerechte Entsorgung nachdenken ( das wird nicht ganz einfach, denn es gibt hier wenig Wissen zum Umgang. Wichtig ist die Menge. Anlaufstellen sollten sein: die örtliche Feuerwehr, Schadstoffsammelstellen, Feuerwerkshersteller, Pyrotechniker, etc... ) oder Sie wenden sich z.B. an das Bundesfilmarchiv oder in Baden-Württemberg an die Landesfilmsammlung, die Ihnen gerne mit Rat und Tat zur Seite stehen und ggf. die weitere Lagerung der Materialien übernehmen. Auch wir beraten Sie gerne, auch am Wochenende... wenn sich beim Entrümpeln im Hochsommer plötzlich verdächtige Filmdosen auf Großmutters Dachboden finden...

Nachwort zum Nitrofilm im Filmarchiv oder Bildarchiv

Generell finden sich Nitrofilme (Nitratfilme) auch in Fotoarchiven. Viele alte Negative sind hier auf Nitrobasis. Zwar sind die Mengen meist geringer aber bereits ein kleiner Brand an der falschen Stelle kann großen Schaden anrichten. Hier fehlt oft auch die Beschriftung "Sicherheitsfilm" wenn es kein Nitro wäre. 

 

Sollten Sie sich unsicher sein, holen Sie sich professionellen Rat, z.B. von der Feuerwehr und gehen Sie nie ein Risiko ein.  Nitrofilm wird, je länger er liegt, immer gefährlicher. Unsere Tipps sollen in der archivarischen Arbeit unterstützen, sind aber unter Ausschluss jeglicher Haftung.